10.12.2015 18:00 - 00:00

Über die (Un-)Möglichkeiten der Geschichtsschreibung

 

Am 10. Dezember 2015 schloss die Reihe "Abschied von der Revolution? – Neue Forschungsansätze zur modernen Geschichte Chinas" mit dem Vortrag von Prof. Dr. Marc Matten, Professor für Zeitgeschichte Chinas an der Friedrich-Alexander-Universität. Unter dem Titel "Anekdoten, Gerüchte und Skandale – Geschichtsschreibung und ihre Krise in der VR China" machte Professor Matten deutlich, inwieweit das Verständnis und Bewerten von Zeitgeschehen und damit auch die Geschichtsschreibung im heutigen China von nicht belegbaren Äußerungen abhängig ist. Das Dilemma zwischen einer faktischen, rationalen Darstellung von Ereignissen und der Möglichkeit Perspektiven und Wertungen in das Geschriebene einfließen zu lassen, trifft auch immer mehr für chinesische Historiker zu. Professor Matten beschrieb einige Wege, die gegangen wurden, um die Geschichte Chinas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen. Unter dem Prinzip der Authentizität, das Gegenständen Autorität verleiht, lässt sich die Entwicklung fassen, dass es zum Selbstverständnis wird, dass die Aufgabe eines Revolutionärs auch darin besteht, die Spuren bzw. Objekte der Revolution zu bewahren. Etwa das Handwerkszeug, mit dem Mao Zedong beim Staudammbau nördlich von Peking mitgeholfen hat, als Symbol für seine Tatkraft zu dokumentieren und auszustellen. In den 1990er Jahren kommt eine weitere Sichtweise hinzu. Geschichte wird fiktionalisiert, sie wird über die Künste, über Literatur, Film und z.T. auch Musik vermittelt. Die Vergangenheit wird inszeniert und uminterpretiert. Aus einem Großgrundbesitzer und Feind im Klassenkampf wird über die Fiktionalisierung ein Vorbild und Modernisierer der Armee. Eine dritte Entwicklung jüngeren Datums geht von der Bedeutung der Erfahrung aus. Worte kann man austauschen, Erfahrungen nicht. Historische Orte werden zum Ziel von Reisen, um sich vor Ort einen Eindruck der Geschehnisse zu machen. „Historische“ Kleidung und Gegenstände können zu Fotozwecken angezogen und vieles mehr unternommen werden, was einen Anschein des Nach(er)lebens erweckt.

Im Vortrag von Professor Matten schwang die Sorge mit, dass Anekdoten, Gerüchte und Skandale künftig die Wahrnehmung von Geschichte in China prägen könnten. Die gut 40 Besucher führten im Anschluss an den Vortrag eine rege Debatte, immer wieder auch im Vergleich zur deutschen Geschichte. 

 

Teil der Vorlesungsreihe "Abschied von der Revolution? – Neue Forschungsansätze zur modernen Geschichte Chinas" 

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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