Im Rahmen des 4. Chinesischen Filmfestivals, das in diesem Jahr unter dem Motto "Chinas Ränder" seine Aufmerksamkeit auf ein in Deutschland weithin unbekanntes China richtete, fand am 18. November 2016 ein Round-Table-Gespräch mit Experten aus Sinologie, Tibetologie, Medienwissenschaft, dem Co-Kurator des Festivals und der Regisseurin Wu Na im Wassersaal der Orangerie in Erlangen statt.
Das Filmfestival 2016 rückte die Besonderheiten und Identitätsfindungen der sogenannten nationalen Minderheiten Chinas in den Mittelpunkt. Beim Round Table debattierten Chinaexperten die unterschiedlichen Facetten der Entwicklung der verschiedenen Ethnien im Angesicht der Moderne und die besonderen Herausforderungen bei der Bewahrung ihrer Identität. Zugleich gewährten sie einen Einblick in das aktuelle Filmschaffen in China.
Der Moderator der Diskussion, Christoph Müller-Hofstede von der Bundeszentrale für politische Bildung, gab eine kurze Einführung zur Multiethnizität in China und bot den fünf Teilnehmern dann einige Themenbereiche zur Debatte an: die Unterschiede im Verständnis des Begriffs Mehrstaatenreich in der Qing-Dynastie im Gegensatz zum heutigen modernen China, die Rolle von jungen Regisseuren aus den nationalen Minderheiten wie beispielsweise Pema Tseden im chinesischen Film, die Rolle von Globalisierung und Digitalisierung im aktuellen Filmeschaffen, sowie Konflikte bei der Bewahrung von Traditionen, die im Zusammenhang mit der Modernisierung und Globalisierung stehen. Besonderer Bezug wurde dabei auf den Eröffnungsfilm "Tharlo" des mehrfach preisgekrönten tibetischen Regisseurs Pema Tseden genommen, sowie auf die Volksgruppe der Dong als Beispiel für eine ethnische Minorität in China, die von der anwesenden Regisseurin Wu Na repräsentiert wurde.
Der Round Table bot den interessierten Besuchern die einmalige Gelegenheit, sich mit diesem in Deutschland bislang wenig beleuchteten Thema auseinanderzusetzen.
Im Anschluss an die Diskussionsrunde der Experten hatten die Gäste die Möglichkeit, eigene Fragen zu diesem spannungsgeladenen Thema zu stellen. Dabei kamen offene Fragen zu bereits gesehenen Filmen des Festivals zur Debatte, aber auch Fragen, die ein wertvolles Hintergrundwissen für das Verständnis beim Anschauen weiterer Filme lieferten.
Der Round Table wurde in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung und mit freundlicher Unterstützung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg veranstaltet.
Die folgenden Experten nahmen am Round-Table-Gespräch teil:
Christoph Müller-Hofstede (Moderation)
Der Sinologe und Politikwissenschaftler ist seit 1988 Projektleiter in der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und dort verantwortlich für Konferenzen und Seminare zu den Themenfeldern Migration, politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft so wie China und internationale Politik. Er ist Mitherausgeber des „Länderberichts China“ 2014 der Bundeszentrale für politische Bildung.
Shui Guai 水怪
Der Co-Kurator des Festivals widmet sich seit den späten Nullerjahren der unabhängigen Filmkultur und dem Autorenfilm in China. Er arbeitet als freier Filmkritiker und organisiert Filmfestivals und Filmvorführungen im ganzen Land. Unter anderem war er 2001 Co-Kurator beim Yunnan Multicultural Visual Festival und 2014 beim China Independent Film Festival. Die 2013 von ihm mitbegründete Initiative „Fenster-zum-Hof-Film“ ermöglicht die Aufführung einer Vielzahl aktueller Filmwerke in Kunstkinos (u.a. von den beim Festival vertretenen Regisseuren Li Ruijun und Wu Na).
Wu Na 吴娜
Die 1987 geborene Regisseurin Wu Na ist Angehörige der Dong-Minderheit. 2009 machte sie ihren Abschluss für Lehramt Englisch an der Guangdong University of Foreign Studies. Ihre eigene Zugehörigkeit zum Volk der Dong ermöglicht Wu Na ganz andere Einblicke in deren Kultur. Mit „Song and Moon“ legt sie ihren Debutfilm vor, der ein ungekünsteltes und unmittelbares Bild der Dorfgemeinschaft zeigt. 2012 wurde sie beim International Student Film Festival London mit einem Nachwuchspreis für Regie ausgezeichnet.
Lu Xiaoning 陆小宁
Nach dem Studium der Chinesischen Sprach- und Literaturwissenschaften erwarb Dr. Lu Xiaoning ihren Doktortitel in Vergleichender Literaturwissenschaft an der Stony Brook University, New York. Seit 2010 lehrt sie an der SOAS University of London und ist Mitglied des SOAS Centre for Film Studies. Ihre Forschung konzentriert sich u.a. auf die moderne Kulturgeschichte Chinas, moderne chinesische Literatur und Kino sowie chinesische Populärkultur und Medientechnologie.
Rolf Scheuermann
Dr. Rolf Scheuermann absolvierte ein Magister- und Doktoratsstudium der Tibetologie und Buddhismuskunde an der Universität Wien. Seit 2014 ist er wissenschaftlicher Koordinator am Internationalen Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Forschung beschäftigt sich vorwiegend mit tibetischen Meditationstraditionen, buddhistischer Philosophie und Prozessen des kulturellen Austausches.
Marc Matten
Prof. Dr. Marc Matten studierte Sinologie in Bonn, Changchun und Tokio. Seit 2009 ist er Professor für Zeitgeschichte Chinas an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Ideengeschichte und Historiographie des modernen Chinas sowie Nationalismus und nationale Identität. Zu seinen Publikationen gehört u.a. "Die Grenzen des Chinesischen – Über die Stiftung einer nationalen Identität in China zu Beginn des 20. Jahrhunderts".